Die Hanauer Tracht

Von Marianne Schwing

Als im Jahr 1985 der Heimatbund gegründet wurde und man beschloss, eine Trachtengruppe ins Leben zu rufen, war das Tragen und Pflegen der Tracht schon lange kein Thema mehr in Auenheim. Vor allem die Festtagstracht war nach dem 2. Weltkrieg vollständig aus dem Alltagsleben verschwunden. Vereinzelt sah man bis in die 1970-er Jahre noch Frauen mit der Kirchentracht.

Wie in den meisten Gegenden wurde die Tracht auch im Hanauerland nur durch entsprechende Vereine noch getragen und gepflegt.

So war es für Bernhard und Bianka Honauer, die die Volkstanz- und Trachtengruppe damals auf den Weg brachten, ein sehr schwieriges Unterfangen, original erhaltene Trachtenteile und das entsprechende Wissen dazu aufzutreiben. Dazu gehörten Kenntnisse über Stoffarten, Spitzen, Bänder, Knöpfe, den Schnitt usw. Wie und wo konnte man die Materialien und Anleitungen beschaffen? Welche Regeln gelten für das Anlegen und Tragen? Doch mit Unterstützung einiger älterer Auenheimerinnen und Auenheimer, die zum Teil noch originale Trachten besaßen, gelang es, neue Trachten anzufertigen. Hilfestellung gaben auch befreundete
Vereine und der Bund Heimat und Volksleben mit der Trachtenberatung durch Frau Siebler-Ferry.

Bisampelz statt Iltisfell

Wie schwierig es war, manche Materialien zu beschaffen, sei an einem Beispiel verdeutlicht: Die Pelzkappe der Männer war früher aus Iltisfell gefertigt. Das war nicht aufzutreiben, so musste man eine Alternative suchen.

Peter Heidt, dessen Vater eine Fischzucht besaß, war entsprechend oft im Rheinwald unterwegs. Er schlug vor, Bisamratten zu fangen und deren Fell für die Kappen zu verwenden. Es sei von ähnlicher Beschaffenheit wie das Iltisfell.

So fing er eine ganze Anzahl der Tiere, die Felle wurden bei der Firma Trautwein in Schiltach gegerbt und die Firma Withum in Achern stellte dann aus 4 bis 5 Fellen eine Kappe her. So wird deutlich, wie viel Arbeit es war, die Tracht zu rekonstruieren, wenn schon für ein Detail so viele Wege gemacht werden mussten. Für dieses Engagement, ohne das es in Auenheim keine Trachtengruppe gäbe, sei Bianka und Bernhard Honauer an dieser Stelle nochmals ausdrücklich gedankt.

Mittlerweile ist es für die Gruppe zur Gewohnheit geworden, zu den verschiedenen Auftritten und festlichen Anlässen die Tracht anzulegen und wir sind stolz, unser Dorf in der näheren und weiteren Umgebung immer wieder so repräsentieren zu dürfen. Es ist keineswegs langweilig und altbacken, Tracht zu tragen. Zum Glück hat sich die Einstellung zur Erhaltung von Tradition und Brauchtum in den letzten Jahren und Jahrzehnten gewandelt und wir tragen stolz und mit Freude die heimische Tracht.

Formen der Hanauer Tracht

Das Verbreitungsgebiet unserer Hanauer Tracht ist relativ klein und erstreckt sich längs des Rheins von Lichtenau im Norden bis Eckartsweier im Süden und Sand im Osten. Ähnlichkeiten mit der Hanauer Tracht findet man noch in den linksrheinischen asdsaelsässischen Dörfern, die auch zur Grafschaft Hanau-Lichtenberg gehörten. Die Grundform ist in allen Dörfern gleich. Kleine Unterschiede, wie die Art und das Anlegen der Tücher, das Tragen von langen Hosen oder Kniebundhosen, das Tragen der Kappe und einiges mehr gibt es dennoch. Die Tracht war trotz der gleichen Grundform immer ein individuelles Kleidungsstück, da unterschiedliche Stoffmuster, Spitzen und dergleichen verwendet wurden. 

Man kennt zwei Trachtenformen, eine für die ledigen Männer und Frauen, und die Tracht der verheirateten Trägerinnen und Träger.

Die Festtagstracht der unverheirateten Frauen ist wesentlich farbenfroher gehalten und wird bis zur Hochzeit getragen. Sie besteht aus einem plissierten Rock aus schwarzem Tuch oder schwarz gefärbtem Leinen. Um die Falten dauerhaft zu machen, wurde früher der Stoff mit Hilfe von Brettchen gepresst. Deshalb sprach man auch von „gebrettelten Kutten“. An den Rock wird ein kurzes, aus farbigem Seidenstoff gefertigtes und mit prächtiger Borte besetztes Mieder genäht. Dies ist vorne mit Häkchen verschlossen oder wird geschnürt. Darunter dürfen die weißen langen mit Spitzen und Biesen versehenen Unterhosen und ein Unterrock aus rotem Stoff oder weißem ebenso spitzenverziertem Leinen nicht fehlen. 

Da das Mieder nur mit Trägern versehen ist, bedeckt die Schultern ein farbiges, sogenanntes Mailänder Halstuch mit schönen, geknüpften Fransen, das um den Hals gelegt und hinten verknotet wird. Früher wurde darunter noch ein kleines, weißes Spitzentuch, das Fichu, getragen. 

Aus dem Mieder schauen die Puffärmel der Bluse hervor. Die weiten Ärmel werden am Abschluss in viele Fältchen gelegt, diese mit Zackenlitze besetzt und der Rand wird mit Häkel- oder Klöppelspitze verziert. Über dem Ellbogen werden die Ärmel mit mehreren angenähten Bindebändchen gebunden.

Vervollständigt wird die Tracht mit einer weißen, leinenen Schürze, die mit vielen Biesen und Spitzeneinsätzen verziert ist. Diese Spitzen werden oft von den Trägerinnen selbst angefertigt. Die langen Schürzenbänder werden vorne zur Schleife gebunden. 

Das Haar flochten die Unverheirateten zu langen Zöpfen, die man mit eingeflochtenen Bändern und einer Schleife als Abschluss schmückte. Zur Kirchentracht und von den verheirateten Frauen wurde das Haar zu einem Dutt am Hinterkopf zusammengesteckt. Zur Tracht gehören weiße gestrickte Strümpfe und schwarze ausgeschnittene Schuhe.

Auenheimerinnen in der Mädchentracht beim Empfang im Großherzoglichen Schloss Karlsruhe kurz vor dem Ersten Weltkrieg. Von links: Sofie Keck geb. Vogt, Marie Roß, Marie Heidt geb. Honauer, Elisabeth Schütterle geb. Riebs, Elisabeth Roß geb. Stengel, Wilhelmine Roß geb. Zier. Bild: Ingomar Hartmann

Das Käppchen und der Kappenschlupf

Unverkennbares Markenzeichen beider Frauentrachten ist der sogenannte Kappenschlupf. Dieser besteht aus einem schwarzen, langen und breiten Seidenband, das mit ummanteltem Spezialdraht zu einem flügelartigen Schlupf gebunden wird. Befestigt ist dieser auf der eigentlichen Kappe aus Seide, die reich mit gold- oder silberfarbenen Pailletten und Perlen bestickt ist. An den Enden des Bandes und somit an der Außenseite des Schlupfes befinden sich etwa 10 cm lange Fransen, die aus dem Seidenband ausgezogen werden.

An der Farbe des Käppchens erkennt man den Stand der Trägerin. Das weiße bzw. silberne Käppchen trägt die Braut. Weiß-bunt sind die Käppchen aller anderen Frauen (Bild links). Schwarz trägt, wer in Trauer ist (Bild rechts). Zur Teilnahme an einer Beerdigung oder einem sonstigen Trauer-Anlass wurde ein helles Käppchen mit einem schwarzen Stoff-Käppchen abgedeckt.

Die Entwicklung des Kappenschlupfs vom einfachen, kleinen Häubchen (wie es z.B. die Trachtengruppe in Marlen heute noch trägt) bis zur heutigen Größe ist auf den Hochmut und Stolz der Trägerinnen zurückzuführen. Um einen größeren und schöneren Kopfschmuck als die Nachbarin zu besitzen, gab man die praktischen Vorteile des kleinen Häubchens auf. Die heutige Größe des Kappenschlupfs wurde wohl im letzten Drittel des 19. Jahrhunderts erreicht.

Kirchen- und Festtagstracht

Die Tracht der verheirateten Frauen wird auch Kirchentracht genannt, weil man sie üblicherweise beim Kirchgang trug. Dies war zum ersten Mal bei der Konfirmation der Fall. So ist die Kirchentracht also nicht ausschließlich den verheirateten Frauen vorbehalten.
Praktisch jede Frau besaß eine Kirchentracht und es war diese Form, die man am längsten bei feierlichen Anlässen antreffen konnte.

Bei der Konfirmation 1928 trugen noch viele Mädchen die Kirchentracht. Das Foto zeigt den Konfirmandenjahrgang mit Pfarrer Friedrich Hermann Schuler.

Die Kirchentracht besteht aus einem sogenannten Kirchenrock, ein Kleid aus schwarzem, hochwertigem Stoff. Der weite Rock ist in Kellerfalten gelegt und das langärmelige Oberteil des Kleides wird vorne meist mit Häkchen verschlossen. Den Ausschnitt bedeckt ein schwarzer, austauschbarer Spitzeneinsatz mit Stehkragen. Meist wurde an den Rocksaum eine Besenlitze angenäht. Ein Kleid in gedeckten Farben wie dunkelblau, -grün, -braun oder violett, nannte man in Auenheim auch den „Zitte-Rock“. Dieser wurde zu den Festzeiten


(„Fescht-Zitte“, daher „Zitte-Rock“) getragen, wie Ostern, Pfingsten und bei Familienfesten. Dazu werden schwarze Strümpfe und Schuhe getragen.In Kirchentracht von links: Marie Roß, Marie Heidt, geb. Honauer,  Magdalena Kappenberger, geb. Roß

Stolz jeder Frau sind die schönen schwarzen Fransen-Halstücher und Schürzen, die zur Kirchentracht und zum „Zitte-Rock“ gehörten. In jedem Haushalt gab es eine Kollektion verschiedener Tücher und Schürzen, die je nach Anlass und Witterung ausgewählt wurden. 

Zu den festlichsten Anlässen (z. B. der Kirchgang am Karfreitag) trägt man das seidene, gemusterte (oder „gewässerte“), das samtene oder das „tüllene“ Halstuch. Dies ist aus Spitzentüll gefertigt. Einfachere seidene oder wollene Tücher oder auch solche aus Chenille trägt man an den gewöhnlichen Sonntagen. Das dreieckige Tuch wird um die Schultern gelegt, über der Brust gekreuzt und im Rücken gebunden. Passend dazu wird die Schürze aus den gleichen Materialien ausgewählt.

Es gibt eine unglaubliche Mustervielfalt, vor allem bei den gemusterten Seidentüchern und -schürzen. Natürlich wird auch diese Tracht mit dem Kappenschlupf (hier auch Kirchekapp genannt) vervollständigt.

In Kirchentracht von links: Marie Roß, Marie Heidt, geb. Honauer, Magdalena Kappenberger, geb. Roß

Die Tracht der Burschen und Männer

Die Burschen und Männer tragen unabhängig vom Stand fast dieselbe Tracht. Einzige Unterscheidung ist die Jacke bzw. der Mantel.

Die ledigen Burschen tragen eine weiße, kurze, kragenlose Jacke mit goldfarbigen Knöpfen (Bild oben). Genäht wurden die Jacken aus Pikee, einem baumwollenen Gewebe mit abwechselnd erhöhten und vertieften Stellen. Die älteren und verheirateten Männer tragen einen schwarzen, oft weiß gefütterten Mantel, auch „Wadenkitzler“ genannt. Er wird nur am Hals mit einem Häkchen verschlossen.

Darunter tragen die Männer eine schwarze, lange Hose oder eine Kniebundhose (früher auch aus Leder) mit charakteristischem Latzverschluss. An Festtagen wurden die Kniebundhosen unter dem Knie mit einem meist roten Band gebunden.

Die jungen Burschen trugen manchmal auch weiße Leinenhosen. Dazu gehören weiße, gestrickte Strümpfe und schwarze Lederhalbschuhe.


Das weiße Leinenhemd wird mit einem schwarzseidenen Halsbinder verschlossen. Das Hemd ist beiderseits der kurzen Knopfleiste mit Biesen geschmückt und hat weite, in Fältchen gelegte Ärmel. Darüber trägt der Mann ein rotes Brusttuch aus filzartigem Stoff, das mit gelb- schwarzer Seidenborte eingefasst und verziert ist und an der Seite mit Häkchen geschlossen wird. Die Träger des Brusttuchs sind im Rücken gekreuzt. Manchmal finden sich auf der Vorderseite auch gestickte Verzierungen mit Initialen und Jahreszahlen.

Über diesem Brusttuch werden die kunstvoll bestickten, ledernen Hosenträger getragen. Dies sind oft wahre Kunstwerke, die schönen Muster aus farbigen Garnen und Perlen werden auf schwarzem Samt gestickt und mit einer grünen Borte eingefasst.Tracht

Die charakteristische Kopfbedeckung der Hanauer Männer ist die Pelzkappe aus Iltis- oder Marderfell (heute in Auenheim Bisamrattenfell, s. o.) mit einem grünen Samtboden und goldenem Quästchen.

Von Dorf zu Dorf unterschiedlich ist die Art, die Kappe zu tragen. In Auenheim trägt man das höhere Teil auf der linken Seite. In manchen Dörfern tragen die älteren Männer einen schwarzen, breitkrempigen Hut.

Eine Besonderheit gibt es in Auenheim. Das Dorf ist ein Fischerdorf mit einer sehr langen Tradition und die Fischer trugen ihre eigene Tracht. Sie vertauschten den schwarzen Mantel mit einer weißen langen Jacke aus robustem weißem Leinenstoff und trugen einen schwarzen, flachen Hut mit Krempe dazu.

Auf dieser historischen Darstellung trägt die Frau das Käppchen mit der ursprünglichen kleinen Schleife. Die Männer tragen Kniebundhosen. Statt einer Pelzmütze dient ein breitkrempiger Hut dem älteren Mann als Kopfbedeckung Quelle: Josef Bader.

Der „Tanz-Schurz“

In unserer Sammlung findet sich eine weitere Besonderheit, die zur Tracht gehört: Weiße, kleine Halbschürzen, die mit rotem Garn bestickt sind. Neben floralen und Tiermotiven findet man eine Jahreszahl und den Namen des männlichen (!) Besitzers. Außer dass es sogenannte Tanzschürzen oder „Danz-Verti“ sind, konnte uns niemand sagen, weshalb ein Mann zum Tanzen eine Schürze trug.

Ein Blick über den Rhein könnte uns eine Erklärung liefern: In einigen Trachtengruppen tanzen Männer in Rekrutentracht (Conscrits). Zu weißen Hemden und Hosen werden die Tanzschürzen und der Rekrutenhut getragen, reich verziert mit Blüten, Früchten, Federn, der Landesflagge und einer ganzen Anzahl von bunten Bändern, die Geschenke der mehr oder weniger zahlreichen weiblichen Eroberungen sind. Die Jahreszahl auf der Tanzschürze ist im Elsass das Geburtsdatum und/oder das Jahr des 20. Geburtstages des Trägers. In diesem Alter wurde man früher gemustert.

Es gibt von Auenheim einige Rekrutenbilder, aber auf keinem findet sich diese Schürze. Vermutlich wurde dieser Brauch bei uns viel früher als im Elsass aufgegeben oder die Schürze wurde nur bei dem der Musterung folgenden abendlichen Tanzvergnügen getragen. Geblieben sind aber die bändergeschmückten und verzierten Hüte, wie sie die „Spielbuebe“, wie die frisch gemusterten Rekruten bei uns heißen, bis in die heutige Zeit trugen, zumindest so lange es eine Wehrpflicht und somit eine regelmäßige Musterung der jungen Männer gab.

Eine Anmerkung zum Schluss

Der Fortschritt der Zeit hat bereits vor 80 bis 100 Jahren dazu geführt, dass auch bei den Trachten moderne Stoffe verwendet wurden. So sind viele auch aus dieser Zeit erhaltene weiße Trachtenteile bereits aus Baumwolle und nicht mehr aus Leinen. Zur Zeit der Hausweberei im 18. und 19. Jahrhundert wurde das Leinen selbst hergestellt. Mit Beginn der Industrialisierung hatte auch die einfache Bevölkerung besseren Zugang zu anderen Materialien. Dass man damit aber sparsam umging, erkennt man zum Beispiel an der Verarbeitung der Trachtenblusen. Da nur die Puffärmel sichtbar waren, arbeitete man diese aus feinstem Baumwoll- oder Leinenstoff, der Rest war relativ grobes, selbstgemachtes Leinen.

Heute werden die weißen, neuen Trachtenteile fast ausschließlich aus Baumwolle hergestellt. Für andere Trachtenteile wie die bestickten Käppchen findet sich jedoch kein Ersatz mehr und wir sind auf unsere über 100 Jahre alten historischen Stücke angewiesen.

Seidenstoffe zum Beispiel werden häufig durch Kunstfasern ersetzt, um die Trachtenteile erschwinglich und „pflegeleicht“ zu machen. So entwickelt sich auch in diesen Belangen unsere Tracht weiter und es ist auch eine Aufgabe der Vereine, darüber zu wachen, dass möglichst viel von der Originalität und Individualität der Trachten erhalten bleibt und nicht wegrationalisiert wird. Denn bestimmt wird es auch in 100 Jahren Menschen geben, die dankbar sind, die historische Kleidung ihrer Ahnen so tragen zu können wie sie tatsächlich auch war.

Quellennachweis: 
Auenheim, Aus der Geschichte eines Dorfes am Oberrhein, S. 417ff. Josef Bader, Badische Volkssitten und Trachten, Kunstverlag Karlsruhe, 1843